Wie bleiben die jungen Ärztinnen und Ärzte in ihrem Beruf?

Die Gesundheitsbranche kämpft um ihren Nachwuchs. Besonders junge Ärztinnen und Ärzte steigen oftmals, kaum haben sie angefangen, aus dem Beruf aus. Verschiedene Lösungsansätze wollen dem entgegenwirken.

Rund ein Drittel der angehenden Ärzte überlegt sich bereits während des Studiums oder nach den ersten Praxiserfahrungen einen Berufswechsel, wie eine Umfrage der Vereinigung der Schweizer Medizinstudierenden (Swimsa) unter 2300 Studierenden aus dem Jahr 2023 ergeben hat. Als Grund nennen die Befragten die Arbeitsbedingungen, etwa die hohe Anzahl Arbeitsstunden oder den grossen Anteil nicht-medizinischer Aufgaben. So beträgt die durchschnittliche Arbeitszeit laut des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) mehr als 56 Stunden pro Woche. Gerade angesichts des Fachkräftemangels sind dies besorgniserregende Entwicklungen. Das Gesundheitssystem schlittert in eine Krise, verursacht durch einen Mangel an Ärztinnen und Ärzten und weiteren medizinischen Fachkräften. Zusätzlich verschärft wird diese Problematik durch die bestehende medizinische Unterversorgung, vor allem in der Grundversorgung.

Bereits sind verschiedene Lösungen in Diskussion, um die Medizinstudierenden besser auf den Beruf vorzubereiten – und so ihre Erwartungen der Realität anzugleichen. Auf politischer Ebene, beispielsweise im Zürcher Kantonsrat, wurde die Forderung laut, eine gesetzliche Grundlage für ein obligatorisches sechsmonatiges Pflegepraktikum vor dem Studium zu schaffen. Die Regierung lehnt die Motion jedoch ab. Zunächst stünden schweizweit nicht genug Praktikumsplätze zur Verfügung. Ausserdem sei der Grund für die hohe Aussteigerquote nicht die fehlende praktische Erfahrung, sondern die schwierigen Arbeitsbedingungen. Dies betont auch die Studierendenvereinigung Swimsa. Wenn Medizinstudierende bereits während des Studiums darüber nachdenken, ihren künftigen Beruf nicht auszuüben, sei dies hauptsächlich aufgrund der zu erwartenden Arbeitsbedingungen.

Zu wenig Raum für Weiterbildung

Der schlechten Arbeitsbedingungen – insbesondere der ausufernden Überstunden – hat sich der VSAO angenommen. So soll im Rahmen der sogenannten «42+4-Stunden-Woche» die generelle Wochenarbeitszeit von Assistenzärztinnen und -ärzten auf 42 Stunden gesenkt werden. Zusätzliche 4 Stunden pro Woche sollen für die strukturierte Weiterbildung an die Arbeitszeit angerechnet werden. Diese bildet einen festen Bestandteil jeder Assistenzstelle. Doch sie wird längst nicht überall gewährleistet. Bei mehr als der Hälfte der befragten Assistenzärzte wird die Weiterbildung nach eigenen Aussagen nicht einmal angeboten, wie eine Stichprobe der NZZ von 2022 zeigt. 40 Prozent der 4500 Befragten geben an, dass das Angebot zwar bestehe, aber dass sie es wegen der hohen Arbeitslast oder der Schichtplanung nicht oder nur selten besuchen könnten.

Die Gewährleistung einer 42+4-Stunden-Woche würde entsprechend nicht nur die gesetzliche Höchstarbeitszeit sicherstellen, sondern auch der Weiterbildung höhere Priorität einräumen. Einige Spitäler haben dieses Modell bereits eingeführt oder sind an der Umsetzung, unter anderem der Tessiner Spitalverbund, das Universitätsspital Zürich und das Kantonsspital Winterthur, drei Kliniken des Stadtspitals Zürich oder das Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil. Eine nationale Verpflichtung zur Umsetzung dieses Vorschlags steht allerdings noch aus.

Bürokratie, Überregulierung, Digitalisierung

Der VSAO hat mit seiner Initiative 42+4 einen wichtigen Ansatz für bessere Arbeitsbedingungen gefunden und bereits viel Überzeugungsarbeit geleistet. Die Frage ist bloss, ob das reicht, um Ärztinnen und Ärzte im Beruf zu halten. Denn die Arbeitszeit ist nicht alleinige Ursache des Problems. Zunehmende Bürokratie und Überregulierung, ungenügendes Coaching, mangelnde Anerkennung sowie fehlende Ressourcen für zeitgemässe Informatiksysteme – diese Aspekte werden in der Umfrage der Swimsa ebenfalls thematisiert. Und auch die langen und unregelmässigen Arbeitszeiten, die Schichtarbeit, die hierarchischen Verhältnisse in den Spitälern und die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind mögliche Ausstiegsgründe. Um die Berufsverweildauer zu verlängern, braucht es deshalb vor allem Massnahmen, die in der Weiterbildungsphase ansetzen, zum Beispiel flexiblere Arbeitsmodelle – Teilzeitarbeit während der Weiterbildungsphase wird in der Branche schon seit längerem kontrovers diskutiert. Hier sind die Spitäler gefordert. Sie müssen die Bedürfnisse sowohl der Assistenzärztinnen und -ärzte als auch der Weiterbildenden ernst nehmen und praktikable Lösungen finden.

Auch auf eidgenössischer Ebene wird das Problem der fehlenden Ärztinnen und Ärzte diskutiert. Im Herbst 2024 hat das Parlament beschlossen den Numerus clausus für das Medizinstudium abzuschaffen. Allerdings bleibt die Anzahl Masterstudienplätze limitiert. Ohne Reformen in der Weiterbildung wird es deshalb kaum möglich sein, mehr junge Ärztinnen und Ärzte im Beruf zu halten.

Bildlegende

Jungen Ärztinnen und Ärzten machen die hohe Anzahl Arbeitsstunden und der grosse Anteil nicht-medizinischer Aufgaben zu schaffen. So beträgt die durchschnittliche Arbeitszeit laut des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte mehr als 56 Stunden pro Woche.

Bild: iStock

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