«Umweltkrisen sind Gesundheitskrisen»
Der Sommer 2022 brachte ungewöhnlich viele Hitzetage. Eine Folge davon: Es starben in der Schweiz 3’000 Menschen mehr als erwartet. Wie gut ist unser Gesundheitswesen auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereitet? Politik+Patient hat bei Dr. med. Christian Abshagen nachgefragt, der an der Hochschule für Life Sciences FHNW ein CAS Gesundheit und Umwelt aufgebaut hat.
Christian Abshagen, wie beeinflusst der Klimawandel unsere Gesundheit?
Die gesundheitsgefährdenden Auswirkungen sind vielfältig. Grob vereinfacht unterscheiden wir verschiedene Achsen: direkt vs. indirekt, akut vs. chronisch, infektiös vs. nicht-übertragbar, somatisch vs. psychische Beeinflussung. Der Klimawandel verursacht vermehrt Extremwettereignisse wie Hitzewellen oder Überschwemmungen. Die indirekten Folgen sehen wir bei neuen Mustern von Infektionskrankheiten. Durch Zecken übertragene Krankheiten nehmen zu, die Tigermücke als Überträger von Viren wird heimisch. Sie schleppt Infektionskrankheiten wie Denguefieber ein, die in unseren Breitengraden bislang nicht vorkamen.
Durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe nehmen chronische Leiden wie Asthma oder Herz-Kreislauf- Erkrankungen zu. Fälle von bösartigem Hautkrebs häufen sich durch vermehrte Sonnenstunden. Nicht zuletzt wirkt sich der Klimawandel auch auf unsere Psyche aus. Neue Begrifflichkeiten wie Solastalgie beschreiben Trauer und belastende Gefühle, die entstehen, wenn man die Zerstörung des eigenen Lebensraumes miterlebt.
Nicht alle Menschen sind vom Klimawandel gleichermassen betroffen.
Richtig. Klimawandel geht mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit einher: zwischen den Generationen, zwischen den Bevölkerungsschichten, zwischen den Regionen. Uns in der Schweiz geht es vergleichsweise gut. Doch auch wir haben vulnerable Gruppen, die von Hitzewellen und anderen Folgen der Klimakrise schon heute stärker betroffen sind und sich schlechter schützen können: Seniorinnen und Senioren, Schwangere, Kleinkinder. Flüssigkeitsmangel stellt für diese eine grössere Gefährdung dar. Bei Hitzewellen nehmen Frühgeburten zu – zum Teil mit Todesfolge. Und: Wer an viel befahrenen Strassen lebt, ist Feinstaub und Lärmbelastung stärker ausgesetzt. Das sind in der Regel einkommensschwächere Bevölkerungsschichten.
Was sind die grössten Herausforderungen für unser Gesundheitswesen?
Wir müssen uns für extreme Hitzeereignisse wappnen. Das ist das realistische Drohszenario für die Schweiz. Dafür brauchen wir Notfallpläne. Wie arbeiten Hausarztpraxen, Spitäler und Pflegeheime während der Sommermonate zusammen? Praxen haben ferienbedingt geschlossen, Angehörige sind vielleicht nicht verfügbar. Wie werden Patienten triagiert? Es stellen sich Fragen zur Infrastruktur: Verfügen Pflegeheime über klimatisierte Räume? Und zur Diagnose: Denken Ärztinnen und Ärzte an neue Krankheitsbilder? Wir werden wohl auch in der Schweiz Fälle von Dengueoder West-Nil-Fieber beobachten.
Ist das medizinische Personal hierzulande auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet?
Klimawandel oder besser der umfassendere Begriff der planetaren Gesundheit findet in vielen Ländern Eingang ins Medizinstudium. Die kommende Ärztegeneration wird besser verstehen, wie eng Gesundheit und globale Umweltveränderungen miteinander verknüpft sind: Wie wirkt sich der Verlust von Biodiversität aus? Was macht Mikroplastik im menschlichen Körper?
Umweltkrisen werden zu Gesundheitskrisen oder sind es bereits.
Was kann jeder Einzelne tun?
Umweltschonenderes Verhalten zahlt sich für die persönliche Gesundheit aus. Wer mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zur Arbeit fährt oder sich pflanzenbasiert ernährt, fördert, als positiven Nebeneffekt, seine Gesundheit. Die breite Bevölkerung ist noch zu wenig sensibilisiert dafür. Es braucht Aufklärungsarbeit aber auch griffige politische und strukturelle Massnahmen. Hier spielen die Fachpersonen im Gesundheitswesen eine entscheidende Rolle. Sie geniessen grosses Vertrauen. Es wird ihre Aufgabe sein, die Zusammenhänge zwischen Umwelt und Gesundheit zu erklären.
Christian Abshagen ist Arzt und hält ein MBA sowie ein Diplom in Tropenmedizin und Hygiene. Er leitet am Universitätsspital Basel die Fachstelle Nachhaltigkeit und lehrt und forscht an der Hochschule für Life Sciences FHNW. Dort hat er ein CAS-Programm «Gesundheit und Umwelt» aufgebaut.