Spitäler kämpfen ums Überleben
Geschlossene Notfallstationen, fehlendes Fachpersonal, sinkende Einnahmen: Zahlreiche Schweizer Krankenhäuser sind in Schwierigkeiten. Was läuft schief in der stationären Gesundheitsversorgung?
Dem Kantonsspital Aarau (KSA), eines der grössten Spitäler im Mittelland, drohte der Konkurs. 5400 Arbeitsplätze standen auf dem Spiel. Das Aargauer Parlament bewilligte schliesslich die dringend benötigte Finanzspritze. Kostenpunkt: 240 Millionen Franken. Auch in den Kantonen Freiburg, Solothurn und St. Gallen schreiben die Spitäler Verluste in Millionenhöhe. Im Kanton Bern ging die Inselgruppe noch einen Schritt weiter. Ende März 2023 gab sie bekannt, zwei Spitalstandorte aufzugeben. Die genannten Beispiele machen deutlich, dass es immer weniger Krankenhäusern und Kliniken gelingt, profitabel zu wirtschaften. Gründe werden überall die gleichen genannt: Personalmangel, Forderungen der Pflegeinitiative und die allgemeine Teuerung. Gerade für Universitätsspitäler, psychiatrische Kliniken und kleinere Allgemeinspitäler verläuft diese Entwicklung klar negativ.
Und die wirtschaftlichen Prognosen sind düster: Geht es mit den Verlusten so weiter, wird in 20 Jahren jedes vierte Spital seine Eigenmittel komplett aufgebraucht haben, rechnet die Beratungsfirma KPMG in einem Bericht vor. Warum ist das Geschäftsmodell Spital derart unter Druck? Politik+Patient hat bei Prof. Mark Pletscher nachgefragt. Er leitet das Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik der Berner Fachhochschule.
Zu tiefe Tarife, zu wenig Anreize
Spitäler werden für grundversicherte Leistungen über Fallpauschalen entschädigt, die auf einem Benchmark basieren. Das Problem: Der Benchmark und die daraus abgeleiteten Tarife sind zu tief berechnet. «Viele Spitäler können mit den Erträgen aus den Tarifsystemen in der Grundversicherung ihre langfristigen Kosten und Investitionen nicht finanzieren», hält Mark Pletscher fest. Aktuell gelte das 30-Prozent-Perzentil der durchschnittlichen Fallkosten pro Spital als Richtwert. Die Unterstellung, 70 Prozent der Betriebe würden ineffizient arbeiten, greift für Pletscher jedoch zu kurz.
Lokale Versorgungsstrukturen zerstört
Es scheint fast so, als sei der Benchmark politisch diktiert und willentlich zu tief angesetzt. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind eine logische Folge.
Zurück in den Kanton Bern. Die Ankündigung der Inselgruppe, die Standorte Münsingen und Tiefenau zu schliessen, kam für alle Betroffenen überraschend. Standortgemeinden, Bevölkerung und Angestellte fühlten sich überrumpelt. Mehr noch: Unverständlicherweise erfuhren Ärzteschaft und Pflegende aus den Medien von der geplanten Schliessung ihres Betriebs. Entsprechend harsch wurde die Kommunikation kritisiert. Zumal die Inselgruppe auch keine detaillierten Pläne präsentierte, was mit dem betroffenen Personal geschieht. Angestellte verlieren ihre Stelle, angehende Ärztinnen und Ärzte können ihre Weiterbildung nicht mehr antreten.
Kleinere Regionalspitäler sind nämlich für die Hausarztmedizin eine wichtige Ausbildungsstätte. Deshalb wird der Hausarztmangel nach Spitalschliessungen zusätzlich verschärft. Darüber hinaus werden immer auch lokale Versorgungsstrukturen und eingespielte Vernetzungen zwischen den medizinischen Fachpersonen zerstört. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte können ihre Patienten nicht mehr an das nächstgelegene Spital überweisen. Die effiziente wie niederschwellige Patientenbetreuung wird aufgegeben.
Umstrittene Rolle der Kantone
Kantone haben in der Spitallandschaft eine herausfordernde Aufgabe. Sie besitzen, finanzieren und regulieren die Betriebe – eine komplexe Mehrfachrolle, die sie zunehmend überfordert. So werden immer mehr kritische Stimmen laut, welche die Rolle der Kantone offen hinterfragen. Dazu gehört auch Mark Pletscher: «Die Entflechtung ihrer Aufgaben kann einen Beitrag zu effizienterem Wettbewerb zwischen den Spitälern führen und die Rolle der Kantone als Regulatoren stärken.» Er wünscht sich, dass kantonsübergreifende Spitalregionen stärker gefördert werden. Doch eine solche überkantonale Planung hat es schwer. Das zeigt das Scheitern der Ostschweizer Kooperation in der Spitalplanung. Hier wollte man nicht vordringlich Spitäler schliessen, sondern die Angebote der regionalen Spitäler so koordinieren, dass nicht jedes Spital ein umfangreiches Zentrumsangebot bereitstellt. Es gelang nicht, die regionalen Eigeninteressen waren stärker.
Doch Kantone kommen nicht umhin, die Spitallandschaft umzubauen. Inzwischen werden auch radikalere Ideen vorgebracht – wie jene vom Thinktank Avenir Suisse. Um den überregionalen Wettbewerb im Spitalsektor zu stärken, fordert er die Abschaffung von kantonalen Spitallisten. An ihre Stelle sollen einheitliche, schweizweit gültige Qualitätsstandards treten.
Es ist nicht auszuschliessen, dass solche Ideen auf Bundesebene mehrheitsfähig werden. Kantone sind gut beraten, in der Spitalplanung voranzugehen. Sonst laufen sie Gefahr, dass über sie entschieden wird.