
Pflege-Business: Wie private Spitex-Organisationen an Angehörigen verdienen
Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Pflege Angehöriger von einer familiären Angelegenheit zu einem Geschäftsfeld mit einem Umsatz von über 100 Millionen entwickelt. Personen, die sich um ihre Liebsten kümmern, werden finanziell entlastet – doch im Hintergrund profitieren private Spitex-Organisationen auf Kosten der Prämien- und Steuerzahlenden.
Die Pflegearbeit in der Familie war lange unsichtbar und unbezahlt. Erst ein Bundesgerichtsurteil im Jahr 2019 hat dafür gesorgt, dass sich Angehörige für ihre Pflegeleistungen bezahlen lassen können. Darin hat das oberste Gericht klargestellt, dass nach geltendem Recht Leistungen in der Grundpflege auch dann über die Krankenversicherung abgerechnet werden dürfen, wenn die Pflegeperson keine spezielle Pflegeausbildung absolviert hat. Seither können pflegende Angehörige von einer Spitex-Organisation angestellt und für ihre Grundpflegeleistungen entschädigt werden. Diese umfassen gemäss Verordnung diverse Tätigkeiten, welche die Patientinnen und Patienten nicht selbst ausführen können – wie etwa Beine einbinden, Bewegungsübungen und Hilfe bei der Körperpflege, beim Essen oder bei der Haushaltsführung. In einem weiteren Urteil hat das Bundesgericht im Mai 2024 klargestellt, dass dies auch für die psychiatrische Grundpflege gilt.
Kritik am Spitex-Boom: Angehörigenpflege als Goldgrube?
Nun stehen aber die privaten Spitex-Organisationen in der Kritik. Der Vorwurf: Sie sollen sich auf Kosten der Angehörigen bereichern, weil sie nur einen Teil der Einnahmen weiterleiten, die sie von Krankenkassen und der öffentlichen Hand erhalten. So erhalten die meisten Angehörigen für ihre Pflegeleistungen einen Stundenlohn zwischen 30 und 40 Franken. Die Krankenkassen zahlen den Unternehmen allerdings 52.60 Franken pro Stunde. Hinzu kommt noch der Betrag der Restkosten durch Kanton und Gemeinden, der je nach Standort weitere 40 Franken betragen kann.
Die Spitex-Organisationen finanzieren damit neben den Löhnen der Angehörigen auch diejenigen des Fachpersonals, das für jeden Einzelfall den Pflegebedarf prüft und die Angehörigen instruiert und deren Arbeit überwacht. Und es fallen übrige Betriebskosten wie Mieten, Werbemassnahmen und Investitionen an. Doch vieles spricht dafür, dass die Unternehmen nach Abzug aller Kosten einen grossen Gewinn verbuchen können. Erstens gibt es bereits Hunderte privater Spitex-Organisationen, die teilweise mit sehr aggressiven Werbekampagnen auf sich aufmerksam machen. Zweitens sagt selbst der Verband der privaten Spitex ASPS, die Angehörigenpflege sei ein noch junger Bereich, der hie und da noch justiert werden müsse – insbesondere müsse die Finanzierung angeschaut und voraussichtlich nach unten angepasst werden. Und schliesslich beweist ein Modell des kantonalen Spitex-Verbands in Zürich, dass es auch billiger geht. Da die Kosten im Vergleich zu den herkömmlichen Spitex-Leistungen wesentlich tiefer seien, könne man bei der Angehörigenpflege auf den Zuschuss der Kantone und Gemeinden verzichten und allein mit den 52.60 Franken der Krankenkassen kostendeckend arbeiten.
Bewegung im Parlament – Bundesrat sieht keinen Handlungsbedarf
Das Geschäft mit der Angehörigenpflege hat schnell Fahrt aufgenommen und bereits einen jährlichen Umsatz von rund 100 Millionen Franken erreicht. Der Bund schätzt den Wert der Pflegeleistungen durch Familienmitglieder auf insgesamt über 3,7 Milliarden Franken. Nun wollen verschiedene Akteure im Bundeshaus für die Finanzierung klare Regeln schaffen – allen voran Patrick Hässig, ausgebildeter Pflegefachmann und GLP-Nationalrat aus Zürich, und Ursula Zybach, Berner SP-Nationalrätin und Vorstandsmitglied von Spitex Schweiz. Sie verlangen in einer parallel eingereichten gleichnamigen Motion, dass der Bundesrat das Gesetz so anpasse, dass der Pflegebeitrag durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung bei Angehörigen gekürzt werden könne. Ausserdem soll er den Kantonen empfehlen, tiefere Restkostenabgeltungen auszuzahlen. Patrick Hässig verlangt ausserdem eine klare Definition für eine bessere statistische Erfassung und zusätzlich eine bessere arbeits- rechtliche Absicherung der Angehörigen.
Der Bundesrat sieht seinerseits grundsätzlich keinen Handlungsbedarf. Er verweist darauf, dass die Kantone in der Pflicht stehen, die Organisationen zu beaufsichtigen. Das irritiert angesichts der grossen Dynamik in diesem Bereich. Er hat aber immerhin für Mitte 2025 einen Bericht angekündigt, um bestimmte Fragen zu vertiefen und die bisherige Praxis zu evaluieren.
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Seit Kurzem können pflegende Angehörige von einer Spitex-Organisation angestellt werden. Nun stehen aber diese privaten Spitex-Organisationen in der Kritik.
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