Gendermedizin ist keine Frauenmedizin

Die sogenannte Gendermedizin ist keine Frauenmedizin. Es ist eine Medizin, die den individuellen Bedürfnissen von Menschen unterschiedlichen Geschlechts Sorge trägt. Unsere Gastkomentatorin Dr. Tanja Volm schreibt, dass wir stattdessen von einer geschlechts-spezifischen Medizin sprechen sollten.

Sei es in der Prävention, in der medizinischen Diagnostik und Therapie, in der Wahrnehmung von Gesundheitsleistungen oder auch in Forschung und Medikamentenentwicklung – allzu lange wurde nicht ausreichend berücksichtigt, dass Männer und Frauen sowohl in ihren biologischen Eigenschaften als auch in ihren sozialen „Rollen“ nicht gleich sind. Männer gehen seltener zur Vorsorgeuntersuchung, haben eine kürzere Lebenserwartung und bekommen weniger Autoimmunerkrankungen als Frauen. Frauen haben weniger Chancen, einen Herzinfarkt zu überleben, sind für einen Grossteil der häuslichen Pflege zuständig und verbringen mehr Lebensjahre in Krankheit. Männer und Frauen brauchen eine „gleich gute“ Behandlung – aber sie brauchen häufig nicht die „gleiche“ Behandlung.

Der Stereotyp in der medizinischen Forschung ist bis heute der hellhäutige jüngere schlanke Mann. Wer von diesem Stereotyp abweicht, muss damit rechnen, Medikamente oder Therapien zu erhalten, die nicht wirklich passend sind. Wird Forschung vor allem „mit“ Männern gemacht, dann sind die Ergebnisse auch überwiegend „für“ Männer nutzbar. Für Frauen – die aufgrund ihres hormonellen Zyklus und ihres „weiblichen“ Stoffwechsels andere Voraussetzungen haben, fehlen daher entsprechende Daten.

Die sogenannte Gendermedizin ist keine Frauenmedizin. Es ist eine Medizin, die den individuellen Bedürfnissen von Menschen unterschiedlichen Geschlechts Sorge trägt. Daher sollten wir eher von einer geschlechts-spezifischen Medizin sprechen. Dies ist kein neues Fachgebiet, sondern eine geschlechtsbezogene Sichtweise, die in jedem bestehenden medizinischen Fachgebiet ihre Relevanz hat. Die Ärztinnen und Ärzte oder sonstigen medizinischen Fachpersonen sollen dabei – neben vielen anderen Parametern – auch das Geschlecht des von ihnen behandelten Menschen berücksichtigen.

Gendermedizin nützt allen Menschen unterschiedlichen Geschlechts. Daher ist Gendermedizin eine sehr moderne Medizin und die Schweiz sollte und kann hier in den nächsten Jahren eine Vorreiterrolle einnehmen.

Tanja Volm, KD Dr. med.
Fakultät für Gesundheitswissenschaften und Medizin
Universität Luzern

Der Gastkommentar gibt die persönliche Meinung der Autorin wieder, die von der Haltung der Ärzteschaft und der Redaktion abweichen kann.

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