Das unterschätzte Element in der Gesundheitspolitik
Nur etwa 2,5 Prozent der Gesundheitsausgaben investiert die Schweiz in die Prävention. Dies obwohl es – angesichts der Diskussion über das Kostenwachstum im Gesundheitswesen – wichtig wäre, Präventionsbemühungen zu verstärken. Denn am günstigsten sind jene Krankheiten, die gar nicht erst entstehen.
In der Schweiz wird die Eigenverantwortung grossgeschrieben. Und so gilt auch die Prävention grösstenteils als Privatsache. Das erklärt teilweise, warum die Prävention in der Gesundheitspolitik so wenig Raum einnimmt und im Vergleich zu den Gesundheitsausgaben insgesamt nur wenig finanzielle Mittel erhält. Ein weiterer Grund für die zurückhaltende Präventionspolitik ist der Föderalismus. Das Parlament hat im Jahr 2012 ein nationales Präventionsgesetz abgelehnt. Dieses hätte es ermöglicht, Gesundheitsförderung und Prävention auf nationaler Ebene zu koordinieren. Nun untersteht die Prävention weiterhin den Kantonen. Die Unterschiede bei den Investitionen sind entsprechend gross: Zwischen 2,4 und 12,4 Prozent ihrer Gesamtausgaben für das Gesundheitswesen verwenden die einzelnen Kantone für Prävention. Immerhin verpflichtet das KVG die Versicherer und die Kantone, gemeinsam die Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention anzuregen und zu koordinieren.
Dazu haben sie die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz gegründet. Diese setzt eigene Aktionsprogramme um, unterstützt externe Projekte finanziell und fördert das Engagement und die Vernetzung im Bereich der Prävention. Daneben engagieren sich auch der Bund und eine Vielzahl weiterer Akteure in diesem Bereich. Bei der Unfallverhütung ist Prävention auf nationaler Ebene besser etabliert. Schon seit 1938 hat die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) den öffentlichen Auftrag des Bundes, Gefahrenquellen zu erforschen und Unfallrisiken durch aktive Prävention zu senken. Im Bereich der Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten ist die Suva zuständig – ebenfalls eine nationale Institution. Da sie als Versicherung Unfallkosten vergütet und Taggelder auszahlt, investiert sie auch selbst in die Prävention.
Herausfordernde Evaluation
Leider lässt sich der Erfolg von Präventionsmassnahmen nicht immer eindeutig messen, vor allem, wenn es um die Verhütung von chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislaufbeschwerden, Diabetes oder Krebs geht. Wer an einer gesundheitsfördernden Massnahme teilnimmt, wird niemals erfahren, ob und wie sich sein Gesundheitszustand bei einem anderen Lebensstil verändert hätte. Dazu kommt: Hinter der Entstehung einer Krankheit stehen verschiedene Einflüsse und komplexe Zusammenhänge. Wer nicht an einer chronischen Krankheit leidet, kann dies selten auf eine einzige Präventionsmassnahme zurückführen.
Die Rolle der Ärztinnen und Ärzte
Hausärztinnen und Hausärzte übernehmen eine wichtige Rolle in der Prävention. Kurze Beratungen zum Rauchstopp, zu körperlicher Aktivität oder zu problematischem Alkoholkonsum können in die primäre Grundversorgung integriert werden und haben ein sehr gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis. So zeigte eine gesundheitsökonomische Studie an der Universität Neuenburg im Jahr 2009, dass jeder im Bereich Rauchprävention investierte Franken einen Nutzen von 28 bis 48 Franken ergibt. Eine Bedingung ist allerdings, dass die Hausärztinnen und Hausärzte für den vermehrten Aufwand finanziell entschädigt werden. Die Verantwortung dazu liegt bei den Gesundheitsbehörden und bei der Politik.
Projekt PEPra
Damit Ärztinnen und Ärzte die präventive Arbeit evidenzbasiert und praxistauglich umsetzen können, wurde im Jahr 2020 das Projekt «PEPra – Prävention mit Evidenz in der Praxis» lanciert. Die Website pepra.ch bietet allgemeine Informationen zu Themen wie Suchtmittel, Depression, Bewegung oder übertragbare Krankheiten. Zu jedem Thema gibt es weiterführendes Material, Leitfäden für Gespräche, Tests oder Unterlagen, die den Patienten abgegeben werden können. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Beratung der Patienten. Weiter enthält die Website evidenzbasierte Entscheidungshilfen, um vernünftige Behandlungs- oder Früherkennungsoptionen zu vergleichen. Diese Unterlagen unterstützen nicht nur die medizinischen Fachpersonen, sondern helfen auch Patienten oder Angehörigen sich auf das Gespräch mit dem Arzt vorzubereiten. Hinter dem Projekt PEPra stehen die FMH, die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz, die Gesundheitsämter und die Kantonalen Ärztegesellschaften. Derzeit sind vier Kantone (BS, FR, LU, SG) am Projekt beteiligt. Die Pilotphase endet noch dieses Jahr, danach wird über eine Ausweitung des Projekts entschieden.
Prävention beeinflusst die Kosten
Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention verhindern nicht nur Leid und Schmerzen. Sie könnten auch dazu beitragen, die Kosten im Gesundheitswesen weniger stark ansteigen zu lassen. Das Krankenversicherungsgesetz trägt diesem Potenzial zu wenig Rechnung. Es ist bezeichnend, dass die Prävention in dem Bericht der Expertengruppe für Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der OKP (2017), nicht genannt wurde. Dass die Krankheitsprävention auch bei den nationalen Politikerinnen und Politikern nicht immer genug Beachtung findet, zeigte sich in den Beratungen zur Tabakwerbeverbotsinitiative. Obwohl der Nutzen von Tabakprävention unumstritten ist, wollen der Ständerat und die zuständige Nationalratskommission den Initiativtext nicht wortgetreu umsetzen und Ausnahmen zulassen.