Das Recht in der Gesundheitspolitik

Der Föderalismus prägt das Schweizer Gesundheitssystem, aber auch das Gesundheitsrecht. Warum ein nationales Gesundheitsgesetz schwer umzusetzen wäre und wie sich Politik und Recht gegenseitig beeinflussen, erklärt die Expertin für Gesundheitsrecht Franziska Sprecher.

Im Gesundheitswesen herrscht grösstenteils der Föderalismus. Wie zeigt sich dies im Schweizer Gesundheitssystem?
Deutlich zu spüren ist die kantonale Zuständigkeit im Spitalbereich und in der Gesundheitsversorgung. Schweizweit einheitlich geregelt sind zentrale Bereiche wie das Sozialversicherungswesen, das Heilmittelrecht oder das Betäubungsmittelrecht. Aber auch in diesen Bereichen wird das Bundesrecht kantonal umgesetzt und durchgesetzt. Das führt zu einer Zersplitterung und macht es schwierig, Lösungen für das gesamte Schweizer Gesundheitssystem zu finden. Wir sehen das etwa bei der Digitalisierung oder beim Umgang mit dem Fachkräftemangel.

Ist diese föderalistische Rechtsordnung aus juristischer Sicht sinnvoll?
Das ist eine politische Frage, keine juristische. Denn der Föderalismus gehört zum Schweizer Staatswesen und damit zu unserer Rechtsordnung.

Das Recht wird demnach von der Politik bestimmt?
Ja, Gesetzesvorlagen werden zwar durch Juristen und andere Fachpersonen ausgearbeitet. Letztlich entscheidet aber das Parlament, welche Bestimmungen hinzukommen oder gestrichen werden. So will es unser System. Die Akteure im Gesundheitswesen schimpfen oft über die rechtlichen Rahmenbedingungen. Aber eigentlich prägt die Politik das Recht sehr stark. Man ist dem Recht nicht ausgeliefert, sondern es ist ein Instrument, das man (mit-)gestalten kann. Wir sehen das aktuell bei d er einheitlic hen Finanz ierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS). Die Vorlage ist sei t mehr als zehn Jahren im politisc hen Prozess. Dafür verantwortlich sind die Politik und die darin involvierten Interessensgruppen, nicht das Recht.

Die Politikerinnen und Politiker hätten es also in der Hand, das Recht anzupassen. Warum tun sie es nicht?
Es ist immer unangenehm, Spitäler zu schliessen oder finanzielle Mittel zu streichen. Dafür kriegt man keine Blumen und gewinnt auch keine Wiederwahl. Hinzu kommt: Das Gesundheitswesen ist sehr komplex. Zu verstehen, wer wofür zuständig ist und welche Interessengruppen eingebunden sind, ist für ein Milizparlament eine grosse Herausforderung.

Zu den Interessengruppen gehören auch die Verbände. Welche Rolle haben sie in der Schweizer Gesundheitspolitik?
Sie haben grossen Einfluss. Das ist politisch gewollt und rechtlich festgeschrieben. Es ist wohl auch typisch für unser Schweizer System. Die Frage ist aber, wie lange das im bestehenden Ausmass noch sinnvoll ist. Ein Verband vertritt die Interessen seiner Mitglieder. Das macht es schwierig, zusammenzuarbeiten und gemeinsame Lösungen zu finden, die für alle stimmen.

Zurück zum Föderalismus: Verschiedene Kreise fordern ein nationales Gesundheitsgesetz für die Schweiz. Halten Sie das für sinnvoll?
Grundsätzlich begrüsse ich die damit verbundene Idee der Klärung und Bereinigung der rechtlichen Grundlagen des Gesundheitswesens in der Schweiz. Doch fehlt für ein nationales Gesundheitsgesetz meiner Meinung nach, und andere Juristen stimmen zu, die Verfassungsgrundlage. In der Schweiz gibt es verschiedene Stufen in der Rechtsordnung. Ganz oben steht die Verfassung, es folgen die Gesetze und dann die Verordnungen. Ein nationales Gesundheitsgesetz stünde auf der Stufe des Bundes. Wir haben in der Schweiz aber einen ausgeprägten Föderalismus: Das heisst, der Bund darf nur dort Regeln erlassen, wo er gemäss Verfassung die Kompetenz dazu hat. Ein schweizweit geltendes Gesundheitsgesetz wäre deshalb aus rechtsstaatlicher Sicht kritisch zu sehen, da derzeit dafür keine genügende Grundlage in der Bundesverfassung besteht.

Es gibt noch ein zweites Argument dagegen: Im Gesundheitswesen beziehen sich die Kompetenzen des Bundes bisher auf bestimmte Sektoren wie den Sozialversicherungs- oder den Heilmittelbereich. Ein Gesundheitsgesetz, das alle möglichen Themen umfassen soll und sich mit bestehenden Regelungen überschneidet, ist rein von der juristischen Handwerkskunst her sehr anspruchsvoll zu erstellen. Es ist daher wahrscheinlich, dass das Gesetz unscharf oder unklar formuliert wäre. Das führt dazu, dass vieles auf Verordnungsebene geregelt werden muss. Und diese Ebene kann das Volk nicht kontrollieren. Verordnungen werden durch die Verwaltung ausgearbeitet und durch den Bundesrat verabschiedet, es gibt kein Referendum. Das ist demokratiepolitisch heikel.

Welche Lösung würden Sie also vorschlagen?
Im Bereich der Bildung war die Situation ähnlich. Dort haben sich die Akteure vor einigen Jahren zusammengetan und die Kompetenzen von Bund und Kantonen in der Bundesverfassung neu geregelt. Darauf aufbauend konnten die Gesetze angepasst und neue ausgearbeitet werden. Das wäre auch im Gesundheitsbereich möglich. Im heutigen System zieht der Bund immer mehr Aufgaben an sich, obwohl er die Kompetenz dafür eigentlich gar nicht hat.

An welche Aufgaben denken Sie?
Über das KVG greift der Bund stark in das Gesundheitswesen ein, obwohl die verfassungsrechtlichen Grundlagen dafür schwach sind. Ein anderes Beispiel ist die Prävention von nichtübertragbaren Krankheiten. Der Bund erlässt Strategien, die aber juristisch nicht wirklich verankert sind. Er hat weder die Kompetenzen noch die Finanzen, um einen grossen Wurf zu machen.

Wer hätte denn die Kompetenz?
Die Kantone. Aber es ergibt offensichtlich wenig Sinn, dass es in der Schweiz 26 verschiedene Präventionsprogramme für nichtübertragbare Krankheiten gibt. Deshalb wäre eine entsprechende Anpassung der Bundesverfassung
nötig und auch sinnvoll.

Wie stark soll sich der Staat überhaupt in die Gesundheit einmischen, die ja eine sehr persönliche Angelegenheit ist?
Auch das ist eine politische Frage. Ich bemerke in den letzten Jahren eine Tendenz, dem Staat mehr Verantwortung zu übertragen. In der Schweiz pflegen wir aber traditionell ein liberales Grundverständnis, wir schätzen die Eigenverantwortung. Es ist eine Abwägung nötig. Wichtig ist, dass diese Diskussion demokratisch geführt wird und nicht durch die politische Hintertür neue Regeln eingeführt werden.

Die aktuelle Gesundheitspolitik wird von der Kostendiskussion geprägt. Wie schätzen Sie Instrumente wie ein Globalbudget oder Kostenziele aus juristischer Sicht ein?
Es würde die Grundprobleme im Gesundheitswesen nicht lösen. In der Schweiz haben wir den Luxus, dass grosse finanzielle Mittel fürs Gesundheitswesen vorhanden sind. Sie sind aber nicht sinnvoll verteilt. Die grossen gesundheitspolitischen Kämpfe drehen sich alle um die Verteilung dieses Geldes und damit auch um die Verteilung von Macht und Einfluss.

 

Prof. Dr. iur. Franziska Sprecher ist assoziierte Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht mit besonderer Berücksichtigung des Gesundheitsrechts und Direktorin des Zentrums für Gesundheitsrecht und Management im Gesundheitswesen an der Universität Bern

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