Ärztestopp: kompliziert und riskant

Weniger Ärzte, weniger Gesundheitskosten – mit dieser Formel wollen Politiker im Gesundheitswesen sparen. Ärztinnen und Ärzte kritisieren das Vorgehen. Im schlimmsten Fall riskiert die Politik eine Unterversorgung.

Ein mögliches Instrument dafür: die Zahl neuer Ärztinnen und Ärzte begrenzen. Wenn weniger Leistungserbringer über die obligatorische Krankenkasse abrechnen, entstehen weniger Kosten, so die Grundannahme der Gesundheitspolitiker. Im Jahr 2020 genehmigte das Parlament eine entsprechende Verordnung. Deshalb dürfen die Kantone seit Anfang dieses Jahres die Zulassung ambulanter Ärztinnen und Ärzte beschränken, wenn in einem Fachgebiet eine definierte Höchstzahl erreicht wird. Ein neuer Arzt wird erst zugelassen, wenn ein anderer aus dem Beruf aussteigt. Für die Festlegung dieser Zahlen haben die Kantone Zeit bis Juni 2025. In mindestens einem Fachbereich mussten sie aber bereits bis Mitte 2023 Höchstzahlen definieren.

Komplizierte Berechnung
Befürworter der Massnahme sind unter anderem Kantone und Versicherer. Die Verbände der Ärztinnen und Ärzte hingegen bewerten diese Art der Zulassungssteuerung kritisch. Unter anderem wegen der komplizierten Methode, mit der die Kantone ihre jeweiligen Höchstzahlen berechnen sollen. Sie beruht auf einem Bericht des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan). Darin sind die aktuellen ambulanten Versorgungsgrade in den Kantonen als Prozentwert angegeben; dieser Wert drückt den Vergleich zum nationalen Durchschnitt aus: Ist er über 100 Prozent, ist die Versorgung im Kanton höher als im Schweizer Durchschnitt. Liegt der Wert unter 100 Prozent, ist die Versorgung unter dem landesweiten Mittel. Die Berechnungsmethode beruht auf der Annahme, die durchschnittliche Versorgung in einem Fachgebiet entspreche tatsächlich dem Bedarf. Das stimmt bekanntermassen nicht: In der Pädiatrie oder in der Psychiatrie zum Beispiel ist die Schweiz bereits heute stark unterversorgt. Richten sich die Kantone also nach diesem Wert, wird die Unterversorgung zementiert – eine gefährliche Entwicklung für Patientinnen und Patienten. Auch gewisse Vorsorgeuntersuchungen könnten aufgeschoben oder ausgelassen werden, wenn weniger Spezialisten zugelassen werden. Mit der Konsequenz, dass gravierende Krankheiten zu spät bemerkt werden und dann erst recht mit hohen Kosten zu Buche schlagen. Auffangen müssen diese Situation Hausärzte oder die Notfallstationen in den Spitälern; also genau die Stellen, die im Schweizer Gesundheitswesen ohnehin überlastet sind.

Karriereplanung wird unmöglich
Die Zulassungssteuerung wird auch kritisiert, weil sie die Wahlfreiheit von Ärztinnen und Ärzten bezüglich Spezialisierung und Niederlassung einschränkt. Die Facharztausbildung dauert mindestens fünf oder sechs Jahre. Ändern sich während dieser Zeit die Bestimmungen, ist eine Karriereplanung für angehende Ärzte unmöglich. Sogar von einem faktischen Berufsverbot für bestimmte Spezialisierungen ist die Rede. Stimmt die Grundannahme? Schliesslich ist auch die Grundannahme des Zulassungsstopps zu hinterfragen: Lassen sich die Menschen tatsächlich häufiger behandeln, wenn es viele Ärzte gibt? Das würde bedeuten, dass nicht die Nachfrage das Angebot definiert, sondern umgekehrt. Der internationale Vergleich zeigt ein anderes Bild: Gemäss der OECD-Studie «Health at a glance» 2019 gehen Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich nur ca. viermal pro Jahr zum Arzt – trotz hoher Ärztedichte. In der OECD liegt der Schnitt bei 6,8 Besuchen. Die Studie vergleicht Schlüsselindikatoren für die Gesundheit der Bevölkerung und die Leistungsfähigkeit der Gesundheitssysteme in den OECD-Ländern.

Ärzte unterstützen Kriterien zur Verbesserung der Qualität
Ärztinnen und Ärzte sind nicht per se gegen eine Zulassungssteuerung: Die zwei anderen Zulassungskriterien, die primär die Versorgungsqualität sichern wollen, werden von den Berufsverbänden unterstützt: drei Jahre Tätigkeit an einer anerkannten Schweizer Weiterbildungsstätte im beantragten Fachgebiet und eine hohe Sprachkompetenz, die vor Berufsantritt mit einer Prüfung in der Schweiz nachzuweisen ist. Nach Intervention der Ärzteschaft merkte die Politik jedoch, dass in Fachgebieten, die jetzt schon unterversorgt sind, Ausnahmen gelten müssen. Für Allgemeine Innere Medizin, praktische Ärzte, Kinder- und Jugendmedizin sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie wurde diese Regel deshalb schon wieder gelockert. Wenn reine Höchstzahlen definiert werden, könnte eine Zwei-Klassen-Medizin resultieren, in der nur noch Zusatzversicherte in nützlicher Frist einen Termin beim Spezialisten erhalten.

Bildlegende

Die aktuelle Zulassungssteuerung führt zu einer schlechteren Versorgung und zu längeren Wartezeiten für Patientinnen und Patienten. Auffangen müssen diese Situation Hausärzte oder die Notfallstationen in den Spitälern.

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