Kostenwachstum bremsen – aber sinnvoll
Ob Globalbudget, budget global oder bilancio globale – in allen drei Sprachregionen der Schweiz lehnen Ärztinnen und Ärzte die Einführung von Zielvorgaben im Gesundheitswesen ab
Der Bundesrat will Leistungserbringer, Kantone und den Bund verpflichten, jeweils öffentlich bekanntzugeben, mit welchem Kostenwachstum sie im folgenden Jahr rechnen. Überschreiten sie das Budget, müssen sie sich erklären. Die ärztlichen Dachverbände aller Landesteile – der Verband Deutschschweizer Ärztegesellschaften (VEDAG), der Ordine dei medici Canton Ticino (OMCT) und die Société médicale de la Suisse Romande (SMSR) – setzen sich vereint dafür ein, das Kostenwachstum mit sinnvollen Massnahmen zu bremsen.
Verstaatlichung verhindern
Der VEDAG sieht die Kostenziele als Symptom einer Entwicklung zur Staatsmedizin. Diese schadet den Patienten. Denn der Arzt weiss besser als der Staat, welche Behandlung der Patient braucht.
Der OMCT kritisiert, dass die Einführung von Kostenzielen grossen bürokratischen Aufwand verursachen würde. Dieser droht die Versorgungsqualität zu beeinträchtigen und ist ohne Mehrwert für die Patienten. Über eine solche Massnahme müsste das Volk entscheiden, findet die SMSR und bedauert es, dass der Bundesrat den Gang an die Urne nicht wagt.
Negativbeispiel Deutschland
Die Befürworter des Globalbudgets bestreiten, dass Kostenziele zu Rationierungen führen. Die Ärzteverbände sind anderer Meinung und führen als Negativbeispiel Deutschland an. Dort kennt man seit einiger Zeit ein Globalbudget im Gesundheitswesen. Um das Budget nicht zu überschreiten, müssen manche Praxen tagelang schliessen. In dieser Zeit kann sich der Gesundheitszustand der Patienten verschlimmern.
Nicht nur die Patienten verlieren durch die Sparmassnahmen, sondern auch das Pflegepersonal – darauf macht der OMCT aufmerksam. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind bereits jetzt prekär. Wir können es uns nicht leisten, dass sich der Pflegenotstand durch die Sparmassnahmen weiter zuspitzt.
Zudem: Die Reform kommt zur Unzeit. In den letzten vier Jahren stiegen die Kosten im Gesundheitswesen jährlich um 2,5 Prozent. Das ist weniger als die 3 Prozent, die Experten als unumgänglich erachten angesichts der bekannten Kostentreiber: Alterung der Gesellschaft, technologischer Fortschritt und Verlagerung von stationären Leistungen in den ambulanten Bereich.
Hausarztmedizin stärken, TARDOC umsetzen
Es gäbe sinnvollere Massnahmen, um das Kostenwachstum zu bremsen. Zum Beispiel die Förderung der Hausarztmedizin. Diese ist seit gut 20 Jahren aus mehreren Gründen in der Krise. Der OMCT setzt sich seit Jahren dafür ein, dass ein Tessiner Institut für Hausarztmedizin an der Fakultät für Biomedizinische Wissenschaften der Universität Lugano (USI) gegründet wird.
Die SMSR schlägt vor, zuerst genaue Zahlen zu erheben, bevor man schädliche Massnahmen ergreift. Die Statistik über das Gesundheitswesen müsse von einer unabhängigen und neutralen Stelle erhoben werden, idealerweise vom Bundesamt für Statistik.
Einen konkreten Vorschlag hat die SMSR ebenfalls in petto: Durch die zunehmende Verlagerung von stationär nach ambulant unter der Prämisse der Einführung von EFAS werden Kosten gespart. Dieser Betrag könnte ohne Gesetzesänderung für eine einmalige Prämiensenkung eingesetzt werden.
Weiter drängen alle drei Dachverbände dazu, TARDOC, den neuen ambulanten Tarif, so schnell wie möglich umzusetzen.
All diese Massnahmen würden laut VEDAG zur Kostendämpfung beitragen, ohne das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zu zerstören. Sollten hingegen Kostenziele eingeführt werden, kann sich der Patient nicht sicher sein, ob der Arzt wirklich im Interesse seiner Gesundheit handeln kann, oder ob finanzielle Vorgaben die Behandlung einschränken.
Ärzte und Patienten wollen dasselbe
Ärztinnen und Ärzte in allen Landesteilen sind entschlossen, die gefährlichen Sparpläne des Bundesrats zu bekämpfen. Im komplexen Gesundheitssystem ist die Bürokratie eine enorme Belastung. Sie hält den Arzt von seiner Hauptaufgabe ab: der Versorgung der Patienten. Der VEDAG, der OMCT und die SMSR sind sich einig. Denn Ärztinnen und Ärzte wollen letztlich dasselbe wie ihre Patienten: genügend Zeit für eine qualitativ hochwertige Behandlung.