Ärztliche Zulassungssteuerung – aber wie?
Auf Anfang 2022 traten die Bestimmungen zur ärztlichen Zulassungssteuerung in Kraft. An einem Workshop des Verbands Deutschschweizer Ärztegesellschaften VEDAG in Biel diskutierten Exponenten der Gesundheitspolitik, wie diese Zulassungssteuerung umgesetzt werden kann. Alle sind sich einig: Einfach wird es nicht.
Seit 20 Jahren besteht der politische Wille, schärfere Regeln für die Zulassung von Ärztinnen und Ärzten
im ambulanten Bereich festzulegen. Die sogenannte „Zulassungssteuerung“ soll die Überversorgung und den Anstieg der Gesundheitskosten mindern. Seit Kurzem ist es nun vollbracht: Im Juni 2021 hat der Bundesrat die entsprechende Verordnung erlassen. Was ändert sich dadurch?
Ärztinnen und Ärzte, die neu ab 1.1.2022 zulasten der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) abrechnen möchten, müssen drei Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. Erstens: Sie haben mindestens drei Jahre im beantragten Fachgebiet an einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte praktiziert. Zweitens: Sie weisen die in ihrer Tätigkeitsregion notwendige Sprachkompetenz nach. Drittens: Sie sind einer zertifizierten Gemeinschaft oder Stammgemeinschaft für das elektronische Patientendossier angeschlossen. Darüber hinaus sollen die Kantone neue Register über die zugelassenen Leistungserbringer führen. Auf Basis des Registers soll der einzelne Kanton seinen Bedarf bestimmen und nötigenfalls die Anzahl Ärzte je Fachgebiet oder Region beschränken können. Dadurch könne ein Kanton teure Über- und Unterversorgungen korrigieren und somit die medizinische Qualität in allen Bereichen und im ganzen Kantonsgebiet sicherstellen.
Fragen über Fragen
Nicht alles auf dem Reissbrett Entworfene funktioniert in der Realität. Die Regulierung der ärztlichen Arbeit nimmt durch das Zulassungsprozedere weiter zu. Während bereits tätige Leistungserbringer nicht direkt betroffen sind, ist die Zulassungssteuerung eine Hürde für Berufseinsteiger. Für angehende Ärztinnen und Ärzte ist es eine Schikane – und eine Benachteiligung gegenüber älteren Kollegen.
Dabei wären vor dem Hintergrund des Ärztemangels die Schranken für neue Mediziner eher zu senken. Ausgerechnet eine Unterversorgung ist mit der Zulassungssteuerung überdies nur sehr indirekt zu korrigieren: Ein Zulassungsstopp für die Agglomeration Bern bewegt einen angehenden Hausarzt nicht direkt dazu, sich im Simmental niederzulassen.
Es besteht sogar die Gefahr, dass die Zulassungssteuerung bestehende Unterversorgung noch verstärkt: Bisher war es möglich, diese Situation mit Ausnahmezulassungen ausländischer Ärztinnen und Ärzte zu korrigieren. Das ist im neuen Zulassungsrecht nicht mehr möglich.
Fehlende Datengrundlage
Eine weitere Schwierigkeit sind die Register der zugelassenen Leistungserbringer selbst. Wie sollen die Kantone diese erstellen? Die Datenlage zur Ermittlung des aktuellen Angebots an Leistungserbringern ist teilweise schlecht. Unklar ist beispielsweise, wie Teilzeitarbeitende oder 90-Tage-Aufenthalter erfasst werden. Hinzu kommt der Einbezug des spitalambulanten Bereichs. Es gibt keine Datenbank der Anzahl Vollzeitäquivalente, und eine – wie Bundesrat Alain Berset vorschlägt – simple Schätzung basierend auf dem Beschäftigungsgrad freipraktizierender Ärzte ist nicht aussagekräftig.
Es gibt eine Nachfrage. Aber welche?
Gelingt einem Kanton die Erschaffung eines funktionierenden Registers, kennt er zwar das medizinische Angebot, nicht aber die Nachfrage. Auch diese lässt sich nicht ohne Weiteres erfassen. Denn Patienten halten sich nicht an Kantonsgrenzen: Die Aargauerin geht an der Zürcher Bahnhofstrasse zur Gynäkologin; der Liestaler in Basel zum Augenarzt. Kurz: Kantonsgrenzen sind keine Leistungsgrenzen. In Grenzregionen ist es sogar noch vertrackter: Genf und Basel müssten die Nachfrage unter Berücksichtigung der Grenzgänger berechnen.
Es scheint praktisch unmöglich, Angebot und Nachfrage korrekt zu eruieren. Das System läuft deshalb Gefahr, falsche Unter- und Überversorgungen zu „entdecken“ und zu „beheben“. Darunter würden Ärzte und Patienten gleichermassen leiden.
Noch Spielraum
Die Kantone haben nun zwei Jahre Zeit, um die Zulassungsbeschränkung anzupassen. In Anbetracht der zahlreichen offenen Fragen ist das ein ambitionierter Fahrplan. Die Zeit muss genutzt werden, um das System für alle Betroffenen, allen voran die Patienten, so verträglich wie möglich auszugestalten. Es reicht nicht, dies auf dem Papier zu tun; erst in der Realität lassen sich Folgen und Probleme einer konkreten Ausgestaltung prüfen. Es ist deshalb wichtig, dass die Kantone in enger Zusammenarbeit mit den Ärztegesellschaften Pilotprojekte zu klar umrissenen Bereichen der Zulassungsbeschränkung durchführen. Ob sich mit dieser am Ende Geld sparen lässt, ist eine andere Frage.