Wo spart der Gesundheitsökonom?
Es gibt viele Ideen und Ansätze zur Verbesserung des Schweizer Gesundheitssystems. P+P fragte bei Gesundheitsökonom Werner Widmer nach, was die Probleme des bestehenden Gesundheitssystems seien und wie das Kostenwachstum gedämpft werden könne. Warum einkommensabhängige Franchise und privatrechtliche Spitäler dazu gehören, erklärt Widmer in unserem Interview.
Die Gesundheitskosten machen einen grösseren Anteil am Haushaltsbudget aus als früher. Im Gegenzug leben wir länger und uns stehen immer mehr medizinische Möglichkeiten offen. Gleichzeitig sinken andere Kosten. Warum sind die stärker als das Bruttoinlandprodukt (BIP) steigenden Gesundheitskosten ein Problem?
Geld, das zusätzlich ins Gesundheitswesen fliesst, kann nicht mehr für andere gesellschaftliche Anliegen verwendet werden. Die Gesundheitskosten betragen rund 80 Milliarden Franken pro Jahr, die Ausgaben für Bildung rund 18 Milliarden. Da Bildung eine wesentliche Determinante der Gesundheit ist, nützt eine zusätzliche Schul-Milliarde vielleicht sogar mehr für die Gesundheit der Bevölkerung, als wenn sie direkt im Gesundheitswesen ausgegeben würde.
Sie schlagen vor, dass die Politik das Mengen- und Kostenwachstum über mehr finanzielle Eigenverantwortung einschränken könnte. Solidarität käme nur noch zum Tragen, wo «die Eigenverantwortung überfordert ist». Wie kann in einem solchen Modell verhindert werden, dass Personen auf eigentlich nötige Behandlungen verzichten?
Heute beträgt die Franchise 300-2500 Franken pro Jahr. Viele Menschen könnten mehr als das selbst bezahlen, bevor sie die Solidarität beanspruchen. Deshalb schlage ich vor, die Franchise für alle z.B. auf 10 Prozent ihres Einkommens festzulegen. Falls dann Patienten auf Leistungen verzichten, tun sie das, weil sie das Geld anders ausgeben wollen. Im Vergleich zu heute würden weniger unnötige Leistungen im ambulanten Bereich und bei den Medikamenten nachgefragt.
Ambulant ist günstiger als stationär. Ein Vorschlag ist eine Finanzierung aus einer Hand (EFAS), um die nötige Umverteilung hin zu ambulant voranzutreiben. Hat dieses Modell auch Nachteile?
Ambulante Leistungen belasten die Krankenkassen und entlasten die Kantone, die heute bei der Finanzierung der ambulanten Leistungen nicht beteiligt sind. EFAS ist deshalb ein verständliches Anliegen der Krankenversicherer. Sie wollen, dass Kantone und Krankenkassen sowohl für stationäre als auch für ambulante Leistungen gleich viel bezahlen. Das halte ich für sinnvoll. Für die Spitäler und die praktizierenden Ärzte ändert sich ertragsmässig nichts. Einen Nachteil gibt es aus der Sicht der Kantone: Sie könnten ihren Steuerungsanspruch im stationären Bereich kaum mehr legitimieren. Ich vermute, dass dieser befürchtete Machtverlust die Umsetzung von EFAS bisher verhindert hat.
Ist der kantonale Steuerungsanspruch bei Spitälern ein Problem?
Es ist problematisch, dass die Gesundheitsdirektion gleichzeitig Besitzerin der Kantonsspitäler ist und zuständig für die Erteilung der Leistungsaufträge an alle Spitäler im Kanton, also auch an die Konkurrenz der eigenen Häuser. Eine saubere Lösung wäre die Privatisierung der öffentlichen Spitäler als privatrechtliche Stiftungen oder die Verlegung der Spitaleigentümerrolle zur Volkswirtschafts- oder Finanzdirektion. Denn diese hält auch die anderen Beteiligungen des Kantons an grossen Unternehmungen. Die Gesundheitsdirektion wäre dann nur noch für die Gestaltung des Wettbewerbs zwischen den Spitälern zuständig.
Zur Person
Dr. rer. pol. Werner Widmer ist Vorsitzender des Leitenden Ausschusses der Stiftung Diakoniewerk Neumünster, Präsident der Meikirch-Stiftung, Präsident der Krebsliga Zürich und gehört dem Verwaltungsrat des Careum Bildungszentrums an. Er studierte an der Universität Basel Volks- und Betriebswirtschaftslehre. An der Universität Luzern lehrt er zum Thema «Spitalmangement». 2019 erschien im Careum-Verlag das von Widmer zusammen mit Roland Siegenthaler verfasste Buch «Durchblick im Gesundheitswesen: Handbuch für Öffentlichkeit und Politik».