Sackgasse Globalbudget
Der Bundesrat hält an seiner umstrittenen Idee fest, die Kosten im Gesundheitswesen zu deckeln. Sein jüngstes Manöver: Er plant das Globalbudget getarnt als Zielvorgabe an die Urne zu bringen. Spitäler und Kantone sind dagegen – und zeigen Auswege aus der Sackgasse auf.
Das zweite Massnahmenpaket des Bundesrates für die Kostendämpfung im Gesundheitswesen fiel in der Vernehmlassung durch. Die Ärzteschaft und ihre Berufsverbände liessen kein gutes Haar an der Vorlage. Sie warnen seit Jahren vor den negativen Folgen und verweisen auf die unliebsamen Erfahrungen aus Deutschland. Seit mehr als zwei Dekaden finanziert unser nördlicher Nachbar sein Gesundheitssystem über ein Globalbudget. Hier hat sich gezeigt: Erreichen Ärzte ihre Zielvorgaben, dürfen sie nicht mehr behandeln. Manche schliessen sogar tagelang ihre Praxen, um das Budget nicht zu überschreiten. Patienten müssen dann zu einem anderen Arzt wechseln oder warten.
Neue Ausgangslage
Auch die Kantone und die Spitäler sprechen sich in ihren Stellungnahmen gegen die Zielvorgabe aus. Mit Blick auf die neue Ausgangslage – der Bundesrat hat Ende April 2021 entschieden, die Zielvorgabe als indirekten Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative aus dem Massnahmenpaket herauszulösen – hat Politik+Patient beim Spitalverband H+ und bei der Schweizerischen Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK nachgefragt. Wie stehen H+ und die GDK zur Vorlage? Was wären alternative Reformansätze?
Versagen der Gesundheitspolitik
Für Spitäler und Kantone steht fest: Diese Zielvorgabe bedeutet eine Abkehr vom regulierten Wettbewerb. Die GDK warnt vor neuen Regulierungen, H+ sieht gar einen tiefgreifenden Systemwechsel. Der Bund würde mit Zielvorgaben das Gesundheitswesen planwirtschaftlich, zentralistisch und rein kostenbasiert steuern. Das gefährde die qualitativ hochstehende und innovative Gesundheitsversorgung der Schweiz auf unnötige Weise. Das Globalbudget komme verfrüht, torpediere bereits in die Wege geleitete Massnahmen und untergrabe die Autonomie der Tarifpartner. Ein Globalbudget sei eine Ultima Ratio, hält H+ fest. Zu diesem Instrument solle erst gegriffen werden, wenn alle Effizienzpotenziale ausgeschöpft seien. Markus Trutmann, Leiter Geschäftsbereich Politik bei H+, spricht Klartext: «Die Einführung eines Globalbudgets wäre Ausdruck eines Versagens der Gesundheitspolitik».
Umsetzung nicht praktikabel
Für die GDK hängt die Wirksamkeit der Zielvorgabe stark von der konkreten Umsetzung ab. Ein jährliches Festlegen und Anpassen von Zielvorgaben sei für die Kantone nicht praktikabel. Die Gründe: fehlende Daten und Verzögerungseffekte. «Die Kantone müssten Zielvorgaben für einzelne Leistungsbereiche schon festlegen, bevor die Daten des Vorjahres überhaupt bekannt sind.» Die Einführung von Zielvorgaben, so die GDK, würde den administrativen Aufwand der Kantone massiv erhöhen – gerade kleinere, ressourcenschwache Kantone würden stark belastet. Denn die Zielvorgaben müssten aufgrund des demografischen Wandels und der technologischen Entwicklung laufend angepasst werden. Diese Bedenken teilt Markus Trutmann: «Was medizinisch nötig ist, lässt sich nicht mathematisch prognostizieren.» Aus diesem Grund, so Trutmann, würden Zielvorgaben im Gesundheitswesen keine Kosten eindämmen. Und die GDK warnt vor einer weiteren Gefahr: Kantone könnten, im Bestreben nach Erfüllung der Kostenziele, andere wichtige Aufgaben wie die Qualität oder die Prävention vernachlässigen.
Koordinierte Versorgung, nutzenbasierte Versorgung
Aktuell lässt der Bundesrat seine Vorlage überarbeiten. Im November soll die Botschaft vorliegen. Hält er an der Zielvorgabe, dem Globalbudget, fest, werden Kantone und Spitäler ihm voraussichtlich die Gefolgschaft verweigern. Für beide ist klar: Der Bundesrat sollte seinen Fokus neu ausrichten. Weg von der reinen Kostenperspektive und hin zu Ansätzen, welche die Koordination und die Qualität stärker gewichten. Die GDK sieht in der koordinierten Versorgung Potenzial. Eine bessere Vernetzung der Leistungserbringer senke nicht nur die Kosten, sondern führe auch zu Innovation und zu besseren Behandlungsergebnissen. Markus Trutmann schlägt vor, dass Reformen im Gesundheitswesen sich stärker am Nutzen und an der Qualität ausrichten sollten. Dafür steht zum Beispiel der Ansatz der nutzenbasierten Versorgung (Value Based Health Care, VBHC). VBHC ist mehr als ein theoretisches Konstrukt: Kürzlich haben zwei Spitäler mit einem Versicherer einen Vertrag abgeschlossen, der ergebnisbasierte Tarife vorsieht. Es gibt weitere Spitäler, die an solchen Verträgen interessiert sind. Dieses Beispiel beweist: Es gibt für den Bundesrat Auswege aus der Sackgasse Globalbudget.