Fehlender Mut
Wie gut hat sich das BAG aus Sicht der Pharmaindustrie in der Corona-Krise geschlagen? Wurde bei der Impfstoffbeschaffung an der falschen Stelle gespart? René Buholzer, CEO von Interpharma, ist überzeugt: Wir hatten die richtige Strategie, aber es wurde zu zögerlich reagiert.
René Buholzer, wie nehmen Sie die Pandemiebekämpfung der Schweiz wahr?
Als Gesellschaft haben wir die Pandemie relativ gut bewältigt. Mit Blick auf die Akteure lässt sich festhalten: In der ersten Welle arbeiteten Bund, Kantone und Wirtschaft gut zusammen, ab Sommer dann weniger. Die Gesamtkoordination fehlte.
Die Behörden wurden für ihr Vorgehen bei der Beschaffung der Impfstoffe teilweise stark kritisiert. Zu Recht?
Bei der Impfstoffbeschaffung haben wir die richtige Strategie gewählt: die Diversifikation. Sie wurde aber zu bürokratisch und zu formalistisch umgesetzt. Man wollte unbedingt verhindern, die falschen Impfstoffe zu besorgen. So verstrich wertvolle Zeit. Mit mehr Mut zum Risiko hätten wir deutlich schneller sein können. Dem stand aber der enge Kostenröhrenblick entgegen – eine gesamtheitliche und nutzenorientierte Optik fehlte. Die zusätzlichen Kosten für eine teurere Beschaffung des Impfstoffs wären verglichen mit den Gesamtkosten marginal ausgefallen. Ein Krisentag in der Schweiz kostet etwa 100 Millionen Franken.
Hätte es eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ämtern im Bundesrat gebraucht?
Ich glaube nicht. Wichtig sind aber in einer solchen Krise Führungsstärke und Risikobereitschaft. Man darf keine Angst vor Kritik haben.
Wie wirkt sich die Pandemie auf die Pharmaindustrie aus?
Die Pandemie zeigt, wie bedeutend Innovation ist. In kurzer Zeit wurden – dank der Zusammenarbeit aller Akteure – hochwirksame Impfstoffe entwickelt; ein Sieg für die Forschung und die Pharmaindustrie. Der rasche Zugang zu neuen Impfstoffen rettete viele Menschenleben. Das rollende Zulassungsverfahren für lebensrettende Therapien sollten wir dauerhaft einführen. Die Krise hat auch gezeigt, wie wichtig eigene Forschungs- und Produktionsplattformen sind. Denn während der Krise kann man diese Ressourcen nicht aufbauen. Dafür braucht es aber gute Rahmenbedingungen.
Mit Moderna und Biontech haben kleinere und eher unbekannte Pharmaunternehmen Covid-19-Impfstoffe zur Marktreife gebracht. Sind die grossen Firmen zu wenig agil?
Innovation passiert in Clustern, wo sich Akteure gegenseitig bereichern. Erfindungen erfordern Mut, neue Herangehensweisen. Das lässt sich in kleineren Organisationen, vielfach Start-Ups, einfacher realisieren. Diese Organisationsform hat aber Grenzen. Deshalb gehen Firmen Kooperationen ein, wie wir sie bei Biontech und Pfizer sehen. Kooperationen waren bei der Impfstoffproduktion ein entscheidender Faktor.
Die Lonza hat der Schweizer Regierung angeboten, in Visp eine eigene Produktionsstrasse für Covid-19-Impfstoffe zu betreiben. Der Bundesrat verzichtete auf diese Form von Public-Private-Partnership. Wo und wie arbeiten Pharmaindustrie und Staat heute zusammen? Wären Modelle wie das von Lonza vorgeschlagene künftig denkbar?
Solche Modelle existieren heute schon auf der Welt. Public-Private-Partnerships haben die Produktion der Impfstoffe beschleunigt. Beide Seiten profitieren. Staatliche Gelder gaben den Pharmafirmen Planungssicherheit insbesondere für einen schnellen Produktionsaufbau. Im Gegenzug sichern sich die Staaten Zugang zu den Impfstoffen und stellen sicher, dass Produktion, Wertschöpfung und Knowhow im eigenen Land bleiben. Es ist aber sicherlich nicht leicht, sich auf künftige Pandemien vorzubereiten. Um in der Krise reagieren zu können, braucht es Knowhow und Produktionsanlagen. Beides kann man nur vor der Krise aufbauen. Voraussetzung dafür sind gute Rahmenbedingungen.
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit den Gesundheitspolitischen Informationen GPI entstanden und erscheint in einer längeren, abgeänderten Fassung auch in den GPI 2/2021