Dank Daten zu besserer Versorgung?
Ärzteschaft, Spitäler, Versicherer oder Behörden: Alle Akteure im Gesundheitswesen sammeln Daten. Lässt sich damit die Versorgung unseres Landes besser planen und steuern? Eine erste Antwort lieferte der vom Gesundheitsökonomen Pius Gyger moderierte Workshop des Verbands Deutschschweizer Ärztegesellschaften VEDAG.
Jacques Huguenin leitet die Sektion Gesundheitsversorgung im Bundesamt für Statisik (BFS). Er und sein Team tragen Betriebs-, Personal- und Patientendaten von Spitälern, Arztpraxen, Pflegeheimen und anderen Gesundheitsinstitutionen zusammen und bearbeiten sie. Auf die umfangreiche Datengrundlage des BFS stützen sich zahlreiche Akteure – darunter die Kantone: Sie ziehen die Daten heran, um die ärztliche Zulassung zu bestimmen oder Tarife zu beurteilen. Für den Statistiker des Bundes ist die datenbasierte Gesundheitspolitik bereits heute gelebte Realität. Huguenin ist überzeugt: «Weitgehend haben wir die richtigen Daten».
An der Realität vorbei
Für Yvonne Gilli, FMH-Präsidentin, greift diese Aussage zu kurz. Eine umfangreiche Datengrundlage alleine reiche nicht aus. Eine Bewertung der Daten müsse, so Gilli, immer vor dem Hintergrund gesteckter Ziele erfolgen. Und: Solche Ziele zu definieren sei anspruchsvoll, weil sie komplexe, langfristige Entwicklungen betreffen. Gilli macht dies an der Anzahl Ärztinnen und Ärzte deutlich. Wie hoch der künftige Bedarf sein wird, hänge von unzähligen Einflüssen ab. Dazu zählen demografische Entwicklung, Morbidität, Technologien, Zuwanderung, veränderte Lebensmodelle und viele mehr.
Angesichts dieser Komplexität lasse sich die Versorgung meist nur unvollständig steuern, ist Gilli überzeugt. Die Folge: Politische Entscheide und behördliche Massnahmen zielen an der Realität vorbei oder hinken Entwicklungen hinterher – mit spürbaren Konsequenzen für die Bevölkerung. Ländliche Regionen kämpfen seit Jahren mit sinkender Ärztedichte. Daran haben auch datenbasierte Entscheide nichts geändert.
Vertragsverhandlungen scheitern
Während Yvonne Gilli die Grenzen datenbasierter Steuerung betont, sieht Wolfram Strüwe, Leiter Abteilung Gesundheitspolitik beim Krankenversicherer Helsana, die aktuellen Probleme an einem anderen Ort: beim fehlenden Vertrauen zwischen Ärzteschaft und Versicherern. Immer mehr Vertragsverhandlungen scheitern, weil die beiden Tarifpartner keine gemeinsame Datenbasis finden. Beide Seiten beklagen fehlende Datenqualität und Transparenz. Gescheiterte Vertragsverhandlungen bleiben nicht folgenlos. Wo Ärzteschaft und Versicherer sich nicht einigen, legen die Kantone die Tarife fest. Strüwe rechnet vor: «Nur noch in sieben von 26 Kantonen bestehen Verträge mit Ärztegesellschaften.» Soll die Tarifautonomie nicht zur reinen Makulatur verkommen, müssen Ärzteschaft und Versicherer aufeinander zugehen. Dabei seien Daten und ihre Transparenz fundamental, ist Strüwe überzeugt.
Eigene Daten schützen vor Ungemach
Wie angespannt das Verhältnis zwischen Ärzteschaft und Versicherern ist, machen auch die Aussagen von
Peter Frutig deutlich. Frutig ist Geschäftsführer des ärzteeigenen Trustcenters PonteNova AG. Die Ponte- Nova AG sammelt Abrechnungsdaten von Arztpraxen. Schweizweit sind mehr als 10’000 Arztpraxen einem Trustcenter angeschlossen. Ihr Datenpool umfasst mittlerweile 320 Millionen elektronische Rechnungskopien. Trustcenter beraten Ärztegesellschaften bei Verhandlungen und unterstützen Ärztinnen und Ärzte bei Rückzahlungsforderungen der Versicherer. Peter Frutig weiss aus Erfahrung, eigene Daten schützen vor Ungemach. «Ohne ärzteeigene Datensammlung hätten viele Ärztinnen und Ärzte in Wirtschaftlichkeitsverfahren zu Unrecht Rückzahlungen geleistet.»
BAG kauft Daten von Krankenversicherern ein
Das Bundesamt für Gesundheit BAG pflegt eine heikle Geschäftsbeziehung. Seit 2008 lässt es von der SASIS AG, einer Tochtergesellschaft des Krankenversicherungsverbandes Santésuisse, Daten sammeln und verarbeiten. Daran stört sich FDP-Nationalrat Olivier Feller gewaltig. Sein Vorwurf: Das BAG könne so seine Aufsichtspflicht gegenüber den Krankenversicherern nicht wahrnehmen. Feller sieht die Unparteilichkeit der nationalen Gesundheitsbehörde gefährdet. Er will mit einer Motion den Bundesrat zum Handeln auffordern. Der Datenlieferungsvertrag zwischen dem BAG und der SASIS AG sei zu kündigen. Feller hat seine Motion mittlerweile eingereicht. Eine Antwort des Bundesrates steht noch aus.
Unklare Ziele, fehlendes Vertrauen, mangelnde Kompetenz: Der Workshop des VEDAG hat aufgezeigt, woran die datenbasierte Steuerung der Versorgung in unserem Land krankt. Nur der gemeinsame Wille aller Akteure kann die verfahrene Situation beheben.